zur Übersicht Pressemitteilungen

Die Macht der Worte: Wie sie heilen oder schaden

Diskussionsrunde zu Herausforderungen in der Arzt-Patienten-Kommunikation

Pressemitteilung 27.05.2019 - 12:37

Was der Arzt rät, wird befolgt – so läuft es längst nicht mehr. Partnerschaftlich und auf Augenhöhe soll das Verhältnis zum Arzt oder der Ärztin heute sein. Doch immer noch liegt manches im Argen beim Gespräch zwischen Arzt und Patient oder Patientin. Was die Gründe dafür sind und wie die Kommunikation verbessert werden kann, darüber tauschten sich namhafte Experten bei einer gemeinsamen Veranstaltung von ZEIT Doctor und der Stiftung Gesundheitswissen am 22. Mai in Berlin aus.

Bei der fünften „Sprechstunde“ mit dem Titel „Bitte hören Sie mir zu, Doc!“ diskutierten Fachleute mit dem Publikum über die verschiedenen Facetten der Arzt-Patienten-Kommunikation: Was können Worte überhaupt ausrichten, was können Sie anrichten? Wo liegen die Schwierigkeiten, und wie können Ärzte und Patienten ihnen begegnen? Gäste waren:  Prof. Jana Jünger, Direktorin am Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), Prof. Dr. Karin Meißner, Professorin für Integrative Medizin in der Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg und Leiterin der Arbeitsgruppe „Placebo Research“ am Institut für Medizinische Psychologie der LMU München, Prof. Dr. Martin Scherer, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Vorsitzender des Expertenbeirats der Stiftung Gesundheitswissen und Prof. Urban Wiesing, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Tübingen

Die komplette Veranstaltung im Video Button: Infokorb-Ablage In den Infokorb legen

Welche Bedeutung hat Kommunikation in der Medizin?

„Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Mit diesem Zitat des Kommunikationsforschers Paul Watzlawick eröffnete Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen, die Diskussionsrunde und umriss damit die Vielschichtigkeit des Themas. In einer kleinen Video-Umfrage der Stiftung Gesundheitswissen unter Patienten wurden Aspekte wie Fachlatein, zu wenig Zeit, Wunsch nach Empathie und gegenseitigem Respekt im Patienten-Arzt-Gespräch angesprochen. Dies verdeutlichte noch einmal, in welcher Mehrdimensionalität und Spannbreite sich der Abend bewegte. Suhr betonte auch den Wirkfaktor menschlicher Beziehungen in der Medizin: Nicht nur was der Arzt dem Patienten oder der Patientin sagt, sondern auch wie er spricht und was er nicht sagt, prägen das Verhältnis und beeinflussen nachweislich den Genesungsprozess.

Selbst starke Schmerzmittel wirken fast gar nicht mehr, wenn sie mit der Ansage verabreicht werden, dass die Substanz die Schmerzen verstärken würde, verdeutlichte die Placebo-Forscherin Prof. Dr. Karin Meißner von der Hochschule Coburg bei der Diskussion in der Berliner „Villa Elisabeth“ die Macht der ärztlichen Worte. Ärzte müssten deshalb lernen, positiv zu formulieren, forderte Meißner. Sie sollten den Fokus nicht auf das Negative legen und ihre Worte mit Bedacht wählen. Es mache eben einen Unterschied, ob eine Spritze mit der Ansage ‚Jetzt tut’s gleich weh!‘ oder mit ‚Jetzt wird’s Ihnen gleich besser gehen!‘ verabreicht werde.

„Mit Bewertungen wäre ich vorsichtig – im Positiven wie im Negativen“, entgegnete der Allgemeinmediziner Prof. Dr. Martin Scherer. Wichtiger als das Vermeiden bestimmter Formulierungen ist ihm das „wertschätzende Zuhören“. Für Scherer bedeutet das: Den Patienten ausreden lassen und ihm zeigen, dass man versteht, was ihn bewegt. „Ich würde meine Sprechstunde lieber Hörstunde nennen“, so Scherer. Auch Prof. Jana Jünger betonte die heilsame Wirkung positiver Formulierungen, warnte jedoch zugleich: „Beschwichtigen ist nicht hilfreich.“ Auch dürften Informationen nicht vorenthalten werden – so lange der Arzt respektiere, dass nicht jeder Patient alles wissen will. Dem pflichtet Prof. Urban Wiesing bei: „Patienten haben ein Recht auf Aufklärung.“ Gut informierte Patienten arbeiteten besser mit und profitierten stärker von einer Therapie, so Wiesing.

Warum ist eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation schwierig? Button: Infokorb-Ablage In den Infokorb legen

Durchschnittlich knapp acht Minuten nimmt sich hierzulande ein Arzt Zeit für einen Patienten. In den meisten Fällen sei das zu wenig, um dem Patienten wirklich gerecht zu werden, befanden auch die Experten auf dem Podium. Den Hauptgrund für die Zeitnot sieht Prof. Wiesing im Vergütungssystem der Ärzte, bei dem Fallzahlen eine große Rolle spielen. Dadurch müssten viel zu viele Fälle „durchgeschleust“ werden,so dass es zu einer starken Verdichtung komme. „Nirgendwo gibt es so viele Arzt-Patienten-Kontakte wie bei uns – trotzdem sind die Deutschen nicht gesünder“, pflichtet Prof. Scherer ihm bei.

Wiesing sieht noch ein weiteres Problem: „Wir machen viel zu viel unnötige Medizin.“ Im Vergleich zu anderen Ländern würden in Deutschland viele Operationen und Untersuchungen mit teuren Geräten durchgeführt, weil diese gut vergütet würden. „Wenn wir die Übertherapie abbauen, haben wir mehr Zeit für die Patienten“, lautete seine Schlussfolgerung. Auch Prof. Jünger forderte: „Wir brauchen andere Vergütungsformen.“ Honoriert werden müsse das qualifizierte Gespräch. Hier müsse es zu einem Umdenken im gesamten Gesundheitssystem kommen.

Dass es in der Kommunikation zwischen Arzt und Patient oft nicht gut läuft, liegt für Prof. Meißner nicht nur am ökonomischen Druck. In der Ausbildung spiele zu sehr das biomedizinische Weltbild eine Rolle, wonach der Mensch wie eine Maschine repariert werden kann, wenn etwas kaputt ist. „Dass für die Heilung der ganze Mensch, die ganze Seele, eine Rolle spielt, ist noch nicht genug in unseren theoretischen Konzepten angekommen“, sagte Meißner. Um Placebo-Effekte zu nutzen, müssten Synergien geschaffen werden zwischen dem biomedizinischen Weltbild und den psychosomatischen Wechselprozessen.

Rückblick in Bildern: Das war die fünfte "Sprechstunde" Button: Infokorb-Ablage In den Infokorb legen

  • Auf dem Podium der gemeinsamen Veranstaltung von Stiftung Gesundheitswissen und ZEIT Doctor diskutierten Prof. Dr. Martin Scherer, Prof. Dr. Karin Meißner, Prof. Urban Wiesing und Prof. Jana Jünger (v.l.n.r.) mit Moderatorin Corinna Schöps (ganz links) darüber, wie eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation gelingen kann.
  • „Bitte hören Sie mir zu, Doc!“ lautete der Titel der fünften "Sprechstunde" am 22. Mai 2019.
  • Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen, begrüßte das Publikum mit einem Zitat von Paul Watzlawick: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Damit unterstrich er die Mehrdimensionalität in der Arzt-Patienten-Kommunikation.
  • Rund 250 interessierte Gäste besuchten die Veranstaltung in der Villa Elisabeth in Berlin.
  • Prof. Dr. Martin Scherer, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Vorsitzender des Expertenbeirats der Stiftung Gesundheitswissen, vertrat die Meinung, dass auch die Patienten auf den Arzt zugehen und ihre Wünsche klar formulieren sollten.
  • Laut Prof. Dr. Karin Meißner, Professorin für Integrative Medizin in der Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg und Leiterin der Arbeitsgruppe „Placebo Research“ am Institut für Medizinische Psychologie der LMU München, ist bei vielen Medizinern die wissenschaftlich bewiesene Wirkung der Worte im Heilungsprozess noch nicht genug angekommen.
  • Prof. Urban Wiesing, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Tübingen, betrachtete den ökonomischen Druck und die Struktur des Gesundheitssystems als Gründe für die Probleme in der Arzt-Patienten-Kommunikation.
  • Prof. Jana Jünger, Direktorin am Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), erläuterte wie Kommunikation künftig verpflichtender Bestandteil in der Arztausbildung wird.
  • Auch das Publikum wurde gehört: Mit roten und grünen Karten konnten die Besucher zu verschiedenen Aspekten ihre Ansichten kundtun.
  • Zum Ende der Veranstaltung griffen die Experten auf der Bühne Fragen des Publikums auf.
  • Im Nachgang der Sprechstunde konnten sich interessierte Besucher an den Informationsinseln der Stiftung Gesundheitswissen zu weiteren Gesundheitsthemen schlau machen.

Was können Ärzte und Patienten tun, um die Kommunikation zu verbessern?

Dank Google & Co bringen viele Patienten heute mehr Vorwissen mit in die Sprechstunde – und wissen manchmal mehr über ihre Erkrankung als ihr Hausarzt. „Das ist keine Majestätsbeleidigung“, sagt Prof. Wiesing. Die Ärzte müssten darauf reagieren. Laut Prof. Scherer ist dies längst passiert: Das alte paternalistische Arztbild sei passé. Heute spielten Beratung und die gemeinsame Entscheidungsfindung eine große Rolle. Den informierten Patienten ernst zu nehmen und als Partner im Behandlungsprozess zu sehen, hält er für einen wichtigen Ansatz zur Verbesserung der Kommunikation. Dabei ist es für ihn allerdings wichtig, dass Patienten sich im Internet unabhängige, qualitätsgeprüfte Informationen suchen. „Es gibt wenige gute Angebote“, so Scherer. Eines davon sei das der Stiftung Gesundheitswissen.

Gute Kommunikation zwischen Patient und Arzt ist der Schlüssel, um Vertrauen und eine tragfähige therapeutische Beziehung aufzubauen.

Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen

Ein weiterer Ansatz, der auf dem Podium diskutiert wurde, war die Stärkung der Rolle der Kommunikation in der Ausbildung. Wie Prof. Jünger berichtete, hat sich auch hier viel getan. Man sei gerade dabei, Kommunikation als verpflichtenden Bestandteil in die staatlichen Arzt-Examina aufzunehmen. Gerade jungen Ärzten rät sie, auf die emotionalen Signale der Patienten zu achten und auch einfach mal das Schweigen der Patienten auszuhalten, anstatt die Stille mit einer Flut an Informationen zu überdecken. Die emotionale Ebene ist auch für Professor Meißner der zentrale Ansatzpunkt: Mehr Mitgefühl zeigen, Patienten die Angst nehmen, Sicherheit vermitteln – so lautet ihre zentrale Botschaft an die Ärzteschaft.

Doch nicht nur Ärzte, auch die Patienten können etwas dafür tun, damit sich ihr Verhältnis zum Arzt oder der Ärztin verbessert. „Auch Patienten müssen das, was sie bewegt und was sie für relevant halten, auf den Tisch packen“, betonte Prof. Scherer. Er appellierte an Ärzte und Patienten, „zum emotionalen Kern zu kommen“ – also nicht nur die Sachebene zu besprechen, sondern auch Ängste und Wünsche. Dem pflichtete Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen, bei: "Gute Kommunikation zwischen Patient und Arzt ist der Schlüssel, um Vertrauen und eine tragfähige therapeutische Beziehung aufzubauen." 

Bildnachweis